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Inventory – studio projects, researches and more good activities

Flatlas – upcycling Liechtenstein, the Rheintal Region and beyond

Contexts – good places, words and people

Positions - interviews and records from individual and collective perspectives

Warum erhalten? Der zeitlose Wert des Vergänglichen

Judit Solt
Warum erhalten? Der zeitlose Wert des Vergänglichen

Die Hallen, die abgebrochen werden sollen, gehören zu den letzten Resten des einstigen Maag-Industrieareals in Zürich West. Die Swiss Prime Site erwarb die Maag Holding 2004; in den folgenden Jahren erstellte sie auf dem Areal grossmassstäbliche Neubauten. Trotz diesen eindrücklichen Nachbarn wirkten die Hallen nie überholt. Sie sind nüchtern, aber qualitätvoll gestaltet und tragen ihre Patina mit Würde. Als Gebäude sind sie Zeugen der Vergangenheit, als Veranstaltungsorte Zen­tren der Gegenwart: Diese zeitliche Dimen­sion, die kein noch so gelungener Neubau je erreichen kann, macht sie zum identitätsstiftenden Zentrum des Areals.

 

Wie wertvoll diese Kombination von historischer Substanz und zeitgenössischer Kultur für die Aufwertung eines Stadtteils ist, belegt auch das benachbarte Escher-Wyss-Areal. Dort dient der Schiffbau – eine denkmalgeschützte Industriehalle, die die Wiener Architekten Ortner & Ortner 1996–2000 umgebaut und mit Neubauten ergänzt haben – dem Schauspielhaus Zürich als Spielstätte; zudem beherbergt er eine Vielfalt an Nutzungen, die von nah oder fern mit dem Kulturbetrieb verknüpft sind und ein breites Publikum anziehen.

Diese Beliebtheit liegt nicht allein am kulturellen Angebot. Entscheidend ist vielmehr der Werkstattcharakter, der den ganzen Schiffbau prägt, nicht nur in der Nutzung, sondern auch im Gebäude selbst: Die Mischung von alten und neuen Bauteilen signalisiert, dass die Menschen diese Umgebung laufend gestalten und verändern. Die Spuren der Vergangenheit und das Unfertige, das in die Zukunft verweist, verorten den Bau in der Geschichte der Stadt und damit auch im Leben der Menschen. Das ermöglicht eine ganz andere Art der Aneignung als die umgebenden Neubauten (zu denen auch die zwar erhaltene, aber bis zur Unkenntlichkeit verbaute Giessereihalle zu zählen ist).

Wie der Schiffbau haben sich auch die Maag-Hallen als unverwechselbare öffentliche Orte etabliert. Sie sind aus dem Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken. Ihre vielfältige Nutzung, ihre abwechslungsreichen Innen- und Aussenräume, ihr bunt gemischtes Pu­blikum und ihr unfertiger Charakter machen sie zu willkommenen Oasen urbaner Kultur inmitten der auf Hochglanz polierten Wohn- und Bürobauten, die sie umgeben.

zuerst erschienen in TE21 – Schweizerische Bauzeitung 13/2021, S. 12 – 15, https://www.espazium.ch/de/aktuelles/retten-was-zu-retten-ist